06 Die unglaublich weiche Birne des Juristen
Ort der Posse:
Düsseldorf, Baustelle im Rohbau, viele Gerüste innen und außen, Bauzaun mit Tor, gut beschildert mit den erforderlichen Sicherheitshinweisen, hektische Betriebsamkeit.
Handelnde Personen:
SiGeKo (= Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator - Entschuldigung, ich hab den Begriff nicht erfunden)
Mann (Gut gekleidet, offensichtlich kein "gewöhnlicher" Arbeiter und, im Gegensatz zu diesen, ohne Helm)
Folgender Dialog:
SiGeKo: Guten Tag, mein Name ist so-und-so. Ich bin hier für die Sicherheit verantwortlich. Wo haben Sie denn bitte Ihren Helm?
Mann: Brauch’ ich nicht.
SiGeKo: Ach ja, wieso brauchen Sie keinen Helm?
Mann: Ich brauche keinen Helm.
SiGeKo: Sehen Sie hier jemanden ohne? Jeder braucht hier einen Helm, das ist Vorschrift und außerdem auch notwendig.
Mann: Wer sagt das?
SiGeKo (Holt Luft): Also - erstens ist es auf Baustellen gefährlich. Schauen Sie einmal hier: Überall wird gearbeitet. Auf den Gerüsten, auf der Empore, an der Decke, an der Fassade und selbst wenn Sie hier nur raus und reingehen, müssen Sie unter dem Gerüst durch. Sie können sich stoßen oder etwas rutscht ab und fällt herunter. Außerdem gibt es Arbeitsschutzbestimmungen…
Mann: Ich bin Jurist! Ich trage keinen Helm.
SiGeKo: Entschuldigen Sie, was oder wer Sie sind, beeindruckt mich überhaupt nicht. Wenn ich Sie hier ohne Helm rumlaufen lasse, fragen mich nachher die Bauarbeiter, wieso Sie das dürfen und sie nicht, ob Ihr Schädel wohl härter wäre, und warum sie bei der schweren Arbeit dieses unbequeme Ding tragen müssten und schon geht die Diskussion los und die Disziplin den Bach hinunter. Die lauern doch jetzt schon alle drauf, was da passiert. Sorry, keine Ausnahme. Entweder Sie holen sich jetzt einen Helm, oder Sie müssen gehen.
Mann (jetzt Jurist): Ich gehe nicht! Und außerdem: Woher soll ich denn wissen, dass man hier einen Helm tragen muss?
SiGeKo: Am Eingang, durch den auch Sie gekommen sind, hängt ein großes Schild. Das gilt für jeden, auch für Sie. Selbst der Bauherr zieht hier einen Helm auf, wenn er durch dieses Tor kommt.
Jurist: Ich habe nichts gesehen.
SiGeKo: Gut, dann kommen Sie mal mit. Ich zeig’s Ihnen. (SiGeKo geht mit Mann zum Tor, zeigt auf das unübersehbar aufgehängte Schild)
SiGeKo: Hier, sehen Sie!
Jurist: Das ist kein Schild! (Kein Witz, lieber Leser, wörtlich zitiert!)
SiGeKo: Wiiiie bitte?
Jurist: Das ist kein Schild!
SiGeKo: Ja was ist es denn Ihrer Meinung nach?
Jurist: Das ist mir egal, aber das ist kein Schild!
SiGeKo: Okay. Mir reicht es jetzt. Es gibt hier keine juristischen Spitzfindigkeiten. Hier ist der Ausgang. Sie gehen jetzt!
Jurist: Ich gehe nicht!
SiGeKo: Okay, dann sage ich Ihnen jetzt, was als nächstes passiert: Ich verbiete Ihnen hiermit ausdrücklich die Baustelle zu betreten. Ich werde nicht von Ihrer Seite weichen. Sie können jetzt gerne zuschauen, wie ich die Polizei hole und Sie hier entfernen lasse. Und was dann kommt, können Sie als Jurist sicher selber beurteilen.
Jurist: (schweigt)
SiGeKo: Also?
Jurist (jetzt wieder Mann): (geht)
SiGeKo: (bleibt in der Nähe und beobachtet)
Mann: (greift zum Handy und holt einige seiner Arbeiter vor den Zaun, wo er sich mit Ihnen draußen bespricht)
SiGeKo: (greift zum Handy und zieht einige Erkundigungen ein)
Bei dem Mann (Jurist) handelte es sich um einen der Geschäftsführer einer Firma ausgerechnet für Sicherheitstechnik - und weiß nicht was ein Schild ist!
Wat lernt uns das?
Es gehört schon eine Menge Chuzpe, vielleicht auch ein juristisches Studium dazu, sich auf eine Argumentationsschiene zu verlegen, die jeder, aber auch jeder Sachlichkeit entbehrt. Es ist dabei unerheblich, ob der Mann so abgehoben war, dass er mit einer gewissen Selbstüberschätzung den Boden der Realität verloren hatte oder ob er einfach nur eine Show abgezogen hat und beeindrucken oder provozieren wollte. Sie wundern sich vielleicht über meine Geduld in dieser absurden Diskussion, die ich natürlich nur sinngemäß, aber dennoch bis hin zu einzelnen Zitaten absolut realistisch wiedergegeben habe. Ehrlich gesagt, ich wundere mich im Nachhinein auch. Aber irgendwie hatte mich gerade die streckenweise Absurdität eher amüsiert als provoziert und dazu veranlasst die demonstrativ zur Schau getragene Überheblichkeit mit einer ebenso demonstrativen Gelassenheit zu erwidern.
Fazit:
Hartnäckigkeit zahlt sich aus.
Gelassenheit zahlt sich aus.
Wenn ich weiß, dass ich im Recht bin und dazu noch am längeren Hebel sitze, brauche ich mich nicht aufregen.
Manchmal hilft ein wenig Phantasie: Stellen Sie sich vor, Sie reden mit einem kleinen Kind: Freundlich, geduldig, hartnäckig und irgendwann aber auch bestimmt.
Keine Angst vor radschlagenden Pfauen, knurrenden Kötern, arroganten Kamelen oder anderen hohen Tieren. Wer hier kuscht, den kriegen hinterher die vielen kleinen scharfäugigen Wadenbeißer, die den Respekt verlieren, wenn Sie sich durch so etwas beeindrucken oder gar einschüchtern lassen.
Merke: Auch ein freundliches Nein kann ein knallhartes Nein sein! Wetten?
(Kleines Geständnis: Ohne meine fünf Jahre in Asien hätte ich das nie geschafft)