12 Hoppla - Höflichkeitswaffe
Hoppla hier komm ich - wo stehen die Fettnäpfchen? (2)
Herr Belokan, ausgesprochen erfolgreicher und geschickter Geschäftsmann aus Istanbul, war stets zuvorkommend, freundlich, korrekt und ausgesprochen höflich. Keine Tür, die er nicht unter Verrenkungen öffnete und Ihnen dennoch den Vortritt ließ, keine Autotür, die er Ihnen nicht aufhielt, keinen kleinen oder großen Gefallen, den er Ihnen nicht anbot. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
Natürlich versuchte Herr Belokan seine Freundschaftsnummer auch mit mir. Es kostete mich eine gute Portion Hartnäckigkeit, immer verbunden (ganz wichtig!) mit einem freundlichen Lächeln, mich angemessen zu revanchieren und damit meine Unabhängigkeit zu bewahren. Ohne meine “indische Lehrzeit” wäre ich ihm mit Sicherheit auf den Leim gegangen. Gelegentlich kam es dabei durchaus zu kleinen “Slapsticks”, wenn wir uns, mit einer Reihe von Leuten hinter uns, erst einigen mussten, wer als erster durch die Tür gehen sollte und manchmal entwaffnete ich ihn einfach durch die Bitte, mir doch auch einmal zu erlauben, höflich zu sein. Umgekehrt musste ich jedoch immer wieder beobachten, wie schwierig die Situation für Geschäftspartner wurde, die sich diesem Kokon nicht rechtzeitig entziehen konnten und dann dem "Stimmungsumschwung" und Druck eines beleidigten Herrn Belokan ausgesetzt waren. Ja, Höflichkeit kann ein Mittel der Erpressung sein!
Wat lernt uns das?
Wie oft habe ich beobachtet, dass wir Mitteleuropäer dieser geballten Ladung an Freundlichkeit nichts entgegenzusetzen haben und ihr irgendwann einmal hilflos ausgeliefert waren. Das dicke Ende kommt nämlich später. War der Gesprächspartner erst einmal in diesen Kokon aus vermeintlicher Freundschaft, Verbindlichkeit und Vertrauen eingewickelt, fühlte er sich nahezu verpflichtet, den nun folgenden "harten" Geschäftsinteressen seines Gegenübers nachzugeben. Schließlich war der Geschäftspartner ja schon so in Vorleistung getreten, dass man jetzt auch einmal höflich sein wollte und musste. Dass dies natürlich eine sehr intuitiv gesteuerte Verhaltensweise war, die nur darauf abzielte, das Gegenüber in eine empfundene Abhängigkeit zu bringen, ihm in unwichtigen Dingen voraus zu sein um ihm dann bei den wichtigen Dingen das Fell über die Ohren zu ziehen, das merkten viele erst viel zu spät. Natürlich schloss dieses Spiel sanften Druck beim beginnenden Widerstand des Opfers ein bis hin zu "Enttäuschung", "Verärgerung" und den restlichen Waffen aus dem Arsenal der psychologischen Trickkiste. Wir Mitteleuropäer billigen dem emotionalen Faktor im Geschäftsleben im allgemeinen wenig bis gar keinen Stellenwert zu und sind dieser Art der "Verhandlungsführung" oft relativ hilflos ausgeliefert, gehen gerne in die offene Falle und haben u.U. erhebliche Schwierigkeiten aus dieser Situation wieder herauszukommen. …oder sind Sie im Urlaub noch nie in einen orientalischen Teppichladen geraten?
Höflichkeit und freundschaftliches Getue, so sehr sie einen beeindrucken mag, darf nicht dazu führen, die Unabhängigkeit der eigenen Entscheidung zu verlieren. In manchen Kulturen ist der Übergang von echter Freundlichkeit und Gastfreundschaft zu einem brutalen "Mittel zum Zweck" nicht sofort und ohne weiteres erkennbar. Es kann sehr hilfreich sein, zunächst einmal angemessene Distanz zu wahren. Echte Gastfreundschaft wird dies respektieren. Kritisch wird es, wenn eine zurückhaltende Reaktion recht schnell zum Umkippen der Freundlichkeit führt. Dies ist als Warnsignal zu betrachten und der schnelle und konsequente Rückzug ist oft das beste Mittel, größere Probleme zu vermeiden.
Wenn Ihnen also einmal ein Her Belokan über den Weg läuft und Ihnen die Tür offen hält, bleiben Sie ebenso gelassen wie hartnäckig, schmunzeln Sie, nehmen Sie ihn freundlich an der Schulter und - eins ist klar - er geht zuerst! (Zumindest ab und zu).
Die Psychologie kennt diesen Effekt übrigens unter dem Begriff "Kognitive Dissonanz". Der Mensch kann widersprüchliche Verhaltensweisen nur schlecht aushalten und bemüht sich, die Widersprüchlichkeit durch Anpassung seines Verhaltens auszugleichen. Unter Umständen geschieht dies, indem er Kompromisse eingeht, die er unter "normalen" Bedingungen nicht akzeptieren würde. Der bewusste Einsatz dieser Technik kann in vielen Fällen als fragwürdig, wenn nicht sogar als manipulativ angesehen werden.