07 Fallgrube Hosenschlitz
Müller gegen Meier
Im Rahmen eines Workshops “Präsentations- und Vortragstechnik” hatte ich ein denkwürdiges Erlebnis: Jeder aus unserer Gruppe von etwa 20 Kollegen aus der gleichen Firma hielt einen Vortrag, der videotechnisch aufgezeichnet und anschließend durch den Moderator und die Kollegen kritisch unter die Lupe genommen wurde.
Der Kollege Meier begann seinen Vortrag souverän, seine Körpersprache entspannt, Gestik und Mimik natürlich und locker, seine Stimme fest und klar, seine Aussagen präzise. Alles in allem eine überzeugende Leistung. Nach einigen Minuten jedoch, trat eine erstaunliche Veränderung ein: Unsicherheit machte sich breit. Meier verhaspelte sich, wurde nervös, packte sich ständig mit der Hand ins Gesicht. Seine Gesten wurden fahrig, die Stimme unsicher und stockend. Mehrfach stoppte er, überlegte, entschuldigte sich und beendete schließlich seine Rede sichtlich irritiert. Die anschließende Kritikrunde brachte keine Erklärung. Auch die Videoanalyse ließ nicht erkennen, was unseren Kollegen so aus der Fassung gebracht hatte. Auch er selbst konnte (oder wollte) nicht sagen, was der Auslöser für den disaströsen Umschwung war. Schließlich schoben wir es auf ein spontanes “Augenblicksversagen”, eine Laune der Natur, einen momentanen Blackout, der eben Nervosität ausgelöst hatte und das klare Denken blockierte. Niemand in unserer Runde ahnte, dass es ein Geheimnis gab, auch ich nicht.
Später, in der Pause, unterhielt ich mich dann mit dem Kollegen Müller. Aufgrund unserer längeren Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Projekt hatte dieser ein persönliches Vertrauensverhältnis zu mir entwickelt. Er war offensichtlich bester Laune, strahlte über das ganze Gesicht und brannte offensichtlich darauf, mir etwas mitzuteilen. “Wissen Sie”, sagte er geheimnisvoll und schaute sich dabei um, ob unser Gespräch nicht etwa von jemandem überhört wurde, “vorhin das Gestottere von Meier, das war kein Zufall. Das war ich! Ich war das!” Jeder in der Firma wusste, dass die beiden, Müller und Meier, sich nicht mochten. Die Abneigung gegeneinander war wechselseitig und offensichtlich. Aber das? Meine Skepsis war nicht zu übersehen. Nee, das konnte nicht sein. “Doch, doch!”, beharrte er. “Wissen Sie, zuerst habe ich ihn immer freundlich und interessiert angeschaut. Bei jeder seiner Aussagen habe ich ihm bestätigend zugenickt. Bis zu dem Moment, wo alles umkippte, war ich eine seiner Bezugspersonen unter den Zuhörern. Tja, und dann habe ich Langeweile demonstriert, den Kopf in die Hand gestützt und – nur noch auf seinen Hosenschlitz geschaut!”
Peng! Welch’ fiese Attacke! Im wahrsten Sinne des Wortes “unter der Gürtellinie”. Und diese Wirkung! Es soll ja schon Leute gegeben haben, die beim Trompetenkonzert in der ersten Reihe in eine Zitrone gebissen haben, um dem Trompeter eins auszuwischen. Aber das hier? Ich kannte mein Gegenüber recht gut und glaubte ihm, zumal auch die wiederholte Betrachtung des Videos ihn zu bestätigen schien.
Wat lernt uns das?
1. Der Wolf im Schafspelz lauert immer und überall.
2. Trau’ keinem Schaf, auch wenn es noch so freundlich nickt. Es könnte Dich auffressen.
3. Bezugspersonen in einem Vortrag sind wichtig. Machen Sie sich aber nicht abhängig davon. Löst einer Ihrer Zuhörer Unwohlsein oder Unsicherheit aus, runzelt die Stirn, macht eine skeptische Miene, packen Sie den Stier bei den Hörnern. Fragen Sie ihn ganz direkt “Herr Schulz, Sie machen so ein skeptisches Gesicht. Habe ich Sie nicht überzeugt?” Es wird immer eine Antwort geben. Vielleicht entwickelt sich sogar eine kurze Diskussion. Bevor Sie vielleicht im falschen Moment mit einer kritischen Frage überrascht werden, haben Sie damit die Chance, Herr des Geschehens zu bleiben und sich als souveräner, aufmerksamer Redner zu präsentieren, der mit seinem Publikum Kontakt hält.
4. Natürlich ist die Flucht nach vorne nur ein Mittel. Werden Sie durch irgend jemanden im Publikum irritiert, wechseln Sie die Bezugsperson. Niemand zwingt Sie, immer wieder Augenkontakt mit einer bestimmten Person unter Ihren Zuhörern aufzunehmen. Meiden Sie bewusst alles und alle, die Sie stören. Sie brauchen Ihre Konzentration für Ihren Vortrag, also versuchen Sie nicht, parallel dazu, die Gründe für die Irritation auf Ihrer oder der anderen Seite zu verstehen. Speziell bei einem Ereignis wie dem oben geschilderten: Ihr Hosenschlitz IST zu - IMMER!
5. Vielleicht haben Sie sich jedoch schon durch irgend etwas irritieren lassen. Dann hilft Ihnen vielleicht eine Atempause. Um etwas Abstand und Ruhe zu gewinnen, nehmen Sie einen Schluck Wasser, legen Sie eine kleine Sprechpause ein, gönnen Sie sich einen kurzen Blick ins Manuskript, auch wenn Sie sonst frei sprechen oder fragen Sie zwischendurch einmal Ihr Publikum, ob es Fragen gibt.