20 Divide et impera!
"Konflikte lösen durch Entkoppeln"
Alles schien so einfach: Neuvermietung eines Ladenlokals. Der Eigentümer gibt einen Baukostenzuschuss an den neuen Mieter als Ausgleich für einige notwendige Anpassungs- und Reparaturarbeiten. Diese Arbeiten wird dann der Mieter im Rahmen seines eigenen Ladenausbaus ausführen. Mit Entfernen der alten Wandbekleidungen tauchen die ersten Überraschungen auf: Zunächst nur morscher Lehmputz, der von den Wänden fällt, dann einige marode Balken des mittelalterlichen Fachwerks, schließlich Alarm: Etliche total zerfressene Balken, z.T. Fehlstellen von über einem halben Meter, “Balken”, die man mit dem bloßen Finger durchbohren kann und aus denen dann minutenlang das Holzmehl rinnt. “Gott-in-Frankreich” für die Holzwürmer! Notbremse: Statiker auf die Baustelle, Notabstützungen, Baustop. Kosten und Termine im Eimer. Stress!
Nach dem ersten, nahezu unvermeidbaren Geplänkel zwischen Mieter und Vermieter trifft man sich zur Besprechung der weiteren Vorgehensweise. Der Mieter steht trotz der Schwierigkeiten zum Mietvertrag, der Vermieter akzeptiert seine Verantwortung für die zusätzlichen Kosten und ist bereit, einen finanziellen Ausgleich für die Verzögerungen und Mehraufwendungen des Mieters zu leisten. Problem gelöst? Mitnichten!
Im Rahmen der Besprechung stellt sich der vom Mieter beauftragte Architekt quer. Die Risiken seien zu hoch, der Aufwand zu groß und überhaupt… Selbst das Angebot, ihn von der Haftung freizustellen, stimmt ihn nicht um. Nach über einer Stunde vergeblicher Diskussion seine mehr als deutliche Aussage an seinen bisherigen Auftraggeber: “Und wenn sie mich jetzt rausschmeißen, ich mach’ es nicht!” Starker Tobak für einen Auftraggeber, der nicht nur ein Projekt mit diesem Architekten durchführt.
Warum schalten wir nicht einfach einen anderen Architekten ein? Die Planung des Ladens ist so gut wie abgeschlossen, der Architekt hat die Bestandsaufnahme gemacht, das Gebäude aufgemessen, die Pläne gezeichnet, die Leitungen verfolgt, die Baufirmen beauftragt, mit den Behörden verhandelt. Wie kein anderer kennt er das Gebäude. Und jetzt ein zweites Büro? Erst mal einen finden! Die Aufgabe ist mehr als unattraktiv. Dann Beauftragung, Vertraut-machen mit den örtlichen Gegebenheiten und der bisherigen Planung, neue Gespräche, neue Gesichter, andere Firmen, zwei verschiedene Auftraggeber, zusätzliche Schnittstellen, ständiger Abstimmungsbedarf unter den beteiligten Büros, wechselseitige Behinderungsanzeigen der ausführenden Firmen, schwierige Zuordnung der Verantwortlichkeiten, Gewährleistungsfragen, Koordinationsprobleme… Das bereits eingetretene Desaster droht weiter zu eskalieren.
Absurde Situation: Die beiden Hauptakteure sind sich trotz erheblicher Konfliktpotentiale grundsätzlich einig. Es ist deutlich zu spüren, dass sie einer Meinung sind, wie es weiter gehen soll und dass sie weitere Risiken vermeiden wollen. Und nun blockiert ein Dritter am Tisch die "ideale" Lösung. Langsam macht sich Frustration breit. Der Architekt macht ein trotzig-entschlossenes Gesicht und sitzt mit verschränkten Armen halb abgewendet neben seinem Auftraggeber. Dieser hat die Augenbrauen hochgezogen und runzelt hilflos die Stirn. Offenbar scheut er ein Machtwort. Der Eigentümer des Gebäudes, mein Auftraggeber, hat kein Vertragsverhältnis mit dem Architekten und ist schon aus diesem Grund nicht in der Lage Druck auszuüben. Außerdem fühlt er sich als Verantwortlicher für den Zustand des Gebäudes eindeutig in der Defensive. Ein klassisches Patt.
Aus einem Gefühl heraus, die Lösung zu kennen, bitte ich um eine Unterbrechung der Sitzung, um mit meinem Auftraggeber einige kurze, vertrauliche Worte zu wechseln. Draußen analysieren wir kurz die Situation und wir sind uns einig in der Einschätzung, dass auch die Gegenseite die von uns favorisierte Lösung mittragen würde. Ich schlage vor, dass mein Auftraggeber um ein Vier-Augen-Gespräch mit seinem Verhandlungspartner bitten sollte. Ziel dieses Gesprächs würde sein, die Einigkeit in der Sache zu bekräftigen und den Mieter zu einem weiteren Gespräch unter vier Augen mit seinem Architekten zu veranlassen - Ende offen.
Beschlossen und verkündet. Es folgen zwei weitere 10-Minuten-Gespräche. Als Mieter und Architekt wieder in den Raum treten, weiß ich schon bevor die ersten Worte fallen, dass wir einen Durchbruch erzielt haben: Der Architekt, mit Blick zum Boden, schaut etwas säuerlich, der Geschäftsführer des Mieters mit einer Falte der Entschlossenheit zwischen den Augenbrauen und zielstrebigem Schritt Richtung seines Platzes. So war’s denn auch und das Projekt kann weiter gehen.
Wat lernt uns das?
Rigorose Festlegungen können einen in eine schwierige Lage bringen. Zurückrudern coram publico bedeutet dann meist Gesichtsverlust und entsprechend hartnäckig wird an einmal festgezurrten Positionen festgehalten. Insbesondere, wenn sämtliche Argumente erschöpfend ausgetauscht sind, dreht sich die Diskussion bestenfalls im Kreis oder, schlimmer noch, eskaliert zum Streit.
Die Diskretion eines Vier-Augen-Gesprächs hilft dagegen, dem Gesprächspartner, der sich vielleicht sogar selbst in eine unglückliche Lage gebracht hat, Brücken zu bauen und einen Kompromiss einzugehen. Jedenfalls bleibt ihm die öffentliche Demütigung, so er sie denn als solche empfindet, erspart. Gegebenenfalls wird er vielleicht auch bereit sein, versteckte Gründe, die er gegenüber Dritten am Tisch nicht darlegen mag, zu offenbaren. Die Änderung der Rahmenbedingungen der Diskussion führt daher zu Änderungen in den Inhalten. Es kommt Bewegung in die Stagnation.
Andererseits bleibt es auch dem Fordernden - in diesem Fall dem Vertreter des Mieters - erspart, stärkere Geschütze aufzufahren mit der Gefahr des Scheiterns und der Bloßstellung der eigenen Hilflosigkeit. Vielleicht zögert er auch, aus einem Gefühl der Loyalität einen Mitstreiter auf seiner Seite vor externen Gesprächspartnern zurecht zu weisen oder zu drängen. Es kann viele Gründe geben, die nicht offensichtlich sind.
Generell ist es immer eine gute Option, mit schwierigen Besprechungspartnern das vertrauliche Gespräch zu suchen und oft erfahren Sie dadurch Dinge, die für den Erfolg des Projekts wichtig sind und die in der Projektöffentlichkeit nie Eingang gefunden hätten. Langfristig zahlt es sich aus, wenn Sie anschließend über die besprochenen Inhalte Stillschweigen bewahren. Ihre Diskretion wird nicht unbemerkt bleiben - ebenso wie Ihre Geschwätzigkeit!