11 Hoppla - Da lang!
Hoppla hier komm ich - wo stehen die Fettnäpfchen? (1)
Frankreich, Sri Lanka, Italien, Nigeria, Großbritannien, Indien, Türkei - Stationen meiner beruflichen Tätigkeit wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die größte Herausforderung liegt wohl darin, ständig direkt oder indirekt, offen oder verborgen, bewusst oder unbewusst mit Wertvorstellungen konfrontiert zu werden, die nicht mit den eigenen Erfahrungen und Konventionen übereinstimmen. Einige Erfahrungen aus ganz verschiedenen Ländern, die ich aus praktischen Gründen - immer unter dem Vorspann "Hoppla" - in mehrere Beiträge aufteilen werde:
Da lang!
Während meiner Tätigkeit im asiatischen Raum war ich oft mit dem Problem konfrontiert, dass ich von meinem Gegenüber keine klare Antwort erhielt - die sprichwörtliche asiatische Gewohnheit, sich nicht festzulegen, auszuweichen, hinzuhalten? Erst nach einiger Zeit verstand ich die Hintergründe. Sehr häufig lagen die Gründe einer ausweichend erscheinenden Antwort in dem tief verwurzelten Bestreben meines Gesprächspartners, höflich zu sein und das Gegenüber nicht "das Gesicht verlieren" zu lassen. Wie das? fragen wir uns verwundert, da wir uns doch gerade über den mangelnden Festlegungswillen aufgeregt haben. Nun, in Asien gilt es generell als unhöflich, einem Gesprächspartner eine negative Antwort zu geben. Ein "morgen vielleicht" oder ein "wir werden sehen" beachtet die Regeln der Höflichkeit und es ist dem Gesprächspartner überhaupt nicht bewusst, welche Verwirrung er in unseren mitteleuropäischen Gehirnen anrichtet, die nicht selten in Frustration und Verärgerung auf unserer Seite münden. Dabei st es unsere eingeschränkte Interpretationsfähigkeit, unsere westliche Konditionierung, die verhindert, die Antwort unseres Gegenübers als deutliche Absage, als klares Nein zu erkennen. Wenn wir dann noch hartnäckig bleiben und weiterhin "eine klare Antwort" fordern, kann sich das Ganze umkehren, und unser Gesprächspartner wird uns als unhöflich und aggressiv empfinden.
Wie weit das Bestreben geht, das eigene Gesicht und das eines Gesprächspartners selbst bei einem kurzen, unverbindlichen Kontakt zu wahren, zeigt das folgende, aus der Not geborene Experiment: Auf meinen Motorradreisen durch Indien musste ich natürlich häufig nach dem Weg fragen. Oft war es dann so, dass ich einer vermeintlich klaren Handbewegung und einem knappen "Da lang!" folgend, nach etlichen Kilometern feststellen musste, dass es die absolut verkehrte Richtung war. Für ein Missverständnis passierte dies zu häufig, und Böswilligkeit mochte ich meinem menschlichen (Irr-)Wegweiser auch nicht unterstellen. Mir fiel allerdings auf, dass ich immer die Richtung angezeigt bekam, in der ich ohnedies gerade stand. Irgendwann kam mir der Verdacht, dass es eher eine Verlegenheitsgeste war, aus der heraus mein Gegenüber mir lieber die naheliegendste Richtung anzeigte - die, in der ich ohnedies schon stand - als mir eine “negative Antwort” zu geben, da er mich vielleicht nicht verstand oder die Richtung wirklich nicht wusste. Ein kleines, oft geübtes Experiment bestätigte schnell meine Vermutung: Ich suchte mir als potentiellen Ratgeber jemanden aus, der mich nicht kommen sah, weil er z.B. mit dem Rücken zur Straße stand und fuhr dann in einem Bogen so auf ihn zu dass ich schließlich quer zur Straße stand. Wenn ich dann fragte, war ich oft belustigt, wie sich nun mein Gegenüber drehte und wand ohne mir eine Antwort geben zu können. Dieses Zögern und die damit verbundene Verlegenheit waren ein verlässliches Signal, dass ich keine zuverlässige Antwort erhalten konnte und ich mir auf die bewährte Weise ein neues Opfer suchen musste. Erhielt ich jedoch auch unter den Bedingungen meiner “Versuchsanordnung” spontan eine konkrete Richtung, war sie meist auch richtig und meine Trefferquote verbesserte sich erheblich. Fazit: Mein "Wegweiser" mochte mir vielleicht die falsche Richtung gezeigt haben, aber auf jeden Fall hatte er die Regeln der Höflichkeit und dere Selbstachtung gewahrt und niemand hatte das Gesicht verloren.
Verdrehte Welt
Anfangs war ich in Afrika immer wieder irritiert, wenn ich durch einen Afrikaner begrüßt wurde. Während er mir die Hand reichte, schaute er ganz woanders hin. Manchmal wandte er sogar den Kopf ab, als ob er damit seine Geringschätzung zum Ausdruck bringen wollte. Irgendwann war auch bei mir der Groschen gefallen: Der Mann war einfach höflich! Die vermutete Unhöflichkeit fand nur in meinem Kopf statt. Es gehört sich in dieser Region einfach nicht, einen Menschen bei der Begrüßung direkt anzuschauen. Dies gilt eher als anmaßend und aggressiv. Ich gebe zu, so richtig habe ich mich nie daran gewöhnt. Aber wenigstens hatte ich nach dieser Erkenntnis keinen Grund mehr, innerlich beleidigt zu sein. Und wer weiß, wie viele Afrikaner ich durch meinen forschen Blick bei der Begrüßung irritiert habe?
Wat lernt uns das?
Wenn wir uns in anderen Kulturen bewegen, arbeiten, mit den Menschen umgehen, erscheinen uns die Dinge zunächst oft anders, als sie sich dann bei näherer Kenntnis der Umstände wirklich darstellen. Verhaltensweisen, die dem Menschen in einem fernen Land völlig natürlich erscheinen, wirken auf uns unter Umständen fremd, unverständlich, unangemessen, seltsam, ja manchmal sogar beleidigend oder verletzend. Dabei geht es den Menschen auf der anderen Seite mit unseren eigenen Gewohnheiten oft ebenso. Wir benehmen uns vielleicht ganz so, wie es in unserer Gesellschaft üblich ist, wie man es von uns erwartet - und dennoch erregen wir damit in einer anderen Umgebung damit vielleicht Anstoß, können uns nicht richtig verständlich machen oder erreichen unsere Ziele nicht. Im Kontakt it anderen Ländern und Kulturkreisen müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass die uns oft auch unterbewusst natürlich erscheinenden Regeln des Zusammenlebens, der Höflichkeit und der Zusammenarbeit einfach nicht gelten, u.U. sogar das Gegenteil bewirken, auf Unverständnis stoßen, schlimmstenfalls sogar Ärger und Aggression hervorrufen.
Es ist bereits ein großer Schritt zum gegenseitigen Verständnis, wenn dieser Mechanismus bewusst ist und uns klar ist, dass es sich hierbei um ein wechselseitiges Problem handelt. Unser Gegenüber hat die gleichen Verständnisprobleme im Umgang mit uns, wie wir mit ihm.
Es ist daher sicher ein guter Rat, der uns viel Frust erspart, wenn wir ein "seltsames" Verhalten nicht gleich mit unseren Augen bewerten und vielleicht sogar gleich darauf unserer Mentalität entsprechend reagieren. Die Fettnäpfchen sind nicht weit - und manchmal ziemlich gross! Mit einer gewissen Offenheit und abwartenden Gelassenheit kommt früher oder später die "Erleuchtung". Umgekehrt ist es auch nicht nötig, vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, sich zu verbiegen und ohne wirklich verstanden zu haben, verkrampft zu versuchen, lokale Sitten und Gepflogenheiten zu imitieren. Natürlich gibt es recht gute Benimmhinweise und Beratungsstellen, die einem vor Besuch eines fremden Landes zumindest die grundlegenden Dinge nahe bringen. Kein noch so guter Führer kann jedoch auf alle Situationen eingehen, mit denen man in der Realität konfrontiert wird. Sensibilität und ein waches Auge helfen dann oft weiter, die Klippen zu umschiffen. In solchen Fällen habe ich beste Erfahrungen damit gemacht, mein Gegenüber einfach zu fragen. Oft entspann sich darüber auch eine Diskussion über die eigenen, westlichen Gepflogenheiten und Umgangsformen, zu denen auch der ausländische Partner Unsicherheit verspürt. Eine offene Frage ermutigt dann oft auch den Gesprächspartner, seinerseits die "Seltsamkeiten" unseres Verhaltens zu hinterfragen - und schon wird er unseren unserem nächsten "Faux-pas" mit mehr Verständnis und Toleranz betrachten als vorher.