48 Aus den öden Fensterhöhlen...
Als Student verdiente ich mir einige Zusatzgroschen auf dem Bau. Die Firma, für die ich tätig war, setzte damals eine relativ neue Technik ein, bei der das Mauerwerk aus einer Reihe trocken aufeinander gestapelter Hohlsteine bestand, die anschließend mit Beton ausgegossen wurden. Auf anderen, traditionell erstellten Baustellen war es üblich, dass ein Mitarbeiter früher als alle anderen auf der Baustelle zu erscheinen hatte, um einen Kübel mit "Speis" (pfälzisch: Mörtel) anzurühren, damit die etwas später erscheinenden Maurer sofort mit ihrer Arbeit beginnen konnten. Gelegentlich kam morgens der Chef vorbei um nach dem rechten zu sehen. So auch an jenem Tag, als er offenbar vergessen hatte, dass dies eine besondere Baustelle war, auf der das Standard-Procedere nicht notwendig war. Seinem prüfenden Blick entging es nicht, dass noch kein "Speis" da war, und er fing sofort an, lautstark zu poltern und zu schimpfen, machte den Erstbesten, den er antraf, zur Schnecke und verließ wutschnaubend die Baustelle. Das Opfer, das sich nichts weiter hatte zuschulden kommen lassen, als zur falschen Zeit am falschen Platz gewesen zu sein, fackelte nicht lange und mischte einen großen Kübel "Speis" an, der dann den ganzen Tag ungenutzt in der Sonne stand und am Nachmittag knüppelhart war.
Als der Boss am Nachmittag wieder auftauchte, stand der Kübel "zufällig" genau im Baustellenzugang. Die Baustellenmannschaft war ebenso "zufällig" außer Sichtweite im Bau verteilt. Ich selbst befand mich zu diesem Zeitpunkt georade im dunklen Keller, von wo ich, selbst völlig unsichtbar, aus einem der Kellerfenster den Chef ankommen sah. Etwas nachdenklich blieb er neben dem Speiskübel stehen und blickte düster hinunter. Aus den öden Fensterhöhlen des Rohbaus schallte eine Stimme: "Welcher Idiot hat denn heute den Speis gemacht?" Aus einem anderen Loch kam die Gegenfrage: "Ja, welcher Depp hat ihn denn bestellt?"
Von meinem Logenplatz aus konnte ich sehen, wie der Chef auf den Lippen kaute, sich die ohnedies schon düstere Miene weiter verdunkelte, er sich abrupt umdrehte, mit hochrotem Kopf (er war eh schon etwas cholerisch veranlagt) die Baustelle verließ und die nächsten Tage nicht mehr gesehen wurde.
Wat lernt uns das?
Nicht viel, aber dafür Grundsätzliches: Erst Gehirn einschalten, dann meckern!