32 Blah blah blah
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!(Goethe)
In meinem Job als Projektsteuerer bin ich oft gezwungen, Übersetzer zu spielen. Nein, nicht etwa vom Deutschen ins Russische, Englische oder Mandarin. Nein, ich übersetze häufig vom Deutschen ins Deutsche. Es scheint mir, als ob besonders die Gilde der Sachverständigen und Gutachter gleich welcher Couleur über die Kompliziertheit der Satzkonstruktion und die ausgesucht ungewöhnliche Wortwahl unter besonderer Berücksichtigung möglichst seltener Fremdwörter mit ungeheurer, fast schon obsessiv zu nennender Anstrengung versuchen muss, den Nachweis ihrer Qualifikation dadurch zu erbringen, einen ansonsten banalen Sachverhalt möglichst unverständlich darzustellen. Wie? Sie mussten den letzten Satz zwei Mal lesen? Dann bin ich bei diesem Qualifikationsnachweis wohl durchgefallen. Der Standardsatz des wirklichen Experten verlangt es, mindestens drei bis vier Mal gelesen zu werden und hinterlässt dann immer noch das dumpfe Gefühl, nicht genau zu wissen, ob man den Inhalt richtig verstanden hat. Großes Latinum, abgeschlossenes Studium in mehreren technischen Fachgebieten (möglichst auch Germanistik, Philosophie, Psychologie und Rechtswissenschaften), einige Jahre im Ausland und 30 Jahre Berufspraxis sind die Mindestqualifikation, sich an die Interpretation mancher dieser Ergüsse wagen zu dürfen. Gelegentlich bin ich schon zu der ehrlichen Überzeugung gelangt, dass sich der überaus qualifizierte Schreiber eines Gutachtens in einem seiner Sätze, gespickt mit vielen Verschachtelungen, Einschüben und Nebenbemerkungen und eine viertel Seite lang, dermaßen verhaspelt hat, dass ihm der Sinn wie eine nasse Seife entglitten und irgendwo im Trüben abhanden gekommen ist.
Schutzheiliger dieser Spezies ist sicher ein gewisser Dr. Fox. Wie, Sie kennen Dr. Fox nicht? Michael Fox, von Hause aus gelernter Schauspieler, erlangte seinen "Expertenstatus" in den 70er Jahren in einem von Sozialpsychologen initiierten Experiment. Nach entsprechender Vorbereitung und vorgestellt als "Dr. Fox" hielt er einen Vortrag vor Fachleuten zum Thema "Die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten". Ziel war es, inhaltslosen Blödsinn von sich zu geben, mit viel unklarem Gerede, unlogischen und widersprüchlichen Feststellungen, erfundenen Fachwörtern, verbunden jedoch mit überzeugendem Auftreten. Unglaublich: Keinem der über 50 anschließend Befragten fiel die inhaltliche Leere auf. Im Gegenteil, der Vortrag wurde als interessant bis brillant eingestuft. Oder wollten die Zuhörer vielleicht nur ihr eigenes Unverständnis nicht zugeben?
Wie dem auch sei. Was im Bereich der Rhetorik gilt, findet offenbar auch Anwendung im Schriftbereich. Abgehobene Unverständlichkeit wird dazu benutzt die Aura der eigenen Kompetenz zu aufzupolieren.
Aus meiner Sicht liegen diesem Verhalten mehrere mögliche Motivationsgründe zugrunde:
- Der Versuch, den (vermuteten) Anspruch einer elitären Leserschaft zu erfüllen
- Der Versuch einem (vermutet) einfachen Leser zu imponieren
- Der Versuch, das eigene Ego durch bewusstes Verkomplizieren eines einfachen Sachverhalts aufzuwerten
- Im mildesten Fall die faulheitsbedingte Respektlosigkeit vor dem Leser nach dem Motto "Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?"
"Mit einer Hand kann man nicht klatschen" sagt ein indisches Sprichwort. Damit dieser Versuch funktioniert, bedarf es natürlich eines empfänglichen Adressaten. Jemanden, der sich durch Schaumschlagen (99% Luft) beeindrucken lässt, vor der Mühe zurückscheut, sich mit verbalen Blähungen auseinanderzusetzen oder resignierend feststellt “Was ich nicht verstehe, muss wohl hochintelligent sein”.
Mich machen solche Ergüsse ärgerlich. Es macht Mühe und kostet Zeit, den Kern einer verklausulierten Aussage zu erkennen - oder besser gesagt, zu erarbeiten. Oft erreichen mich Anrufe meiner ausländischen Kunden aus den Niederlanden, aus Großbritannien oder von anderswo, die ansonsten absolut flüssiges Deutsch sprechen: "Ich habe den und den Bericht nicht verstanden. Können Sie mir sagen, was das bedeutet? Was heißt das? Was muss ich jetzt eigentlich tun?" etc. |
Als Projektsteuerer habe ich mir angewöhnt, in Besprechungen relativ penetrant und un-verschämt Darstellungen oder Fachausdrücke zu hinterfragen, die ich nicht verstehe. Es kostet auch mich manchmal Überwindung, über den Schatten meiner Ignoranz zu springen, der in den Augen meiner Kollegen am Tisch entstehen könnte. In den meisten Fällen gibt mir jedoch die Reaktion der restlichen Teilnehmer recht und es verschafft mir eine innere Genugtuung, wenn ich dann höre "Ach, das hätte ich auch nicht gewusst". Manchmal schwanke ich dann aber zwischen ungläubigem Erstaunen und Entsetzen, wenn ich feststellen muss, dass ein Fachmann offensichtlich gar nicht mehr in der Lage ist, sich "normal" auszudrücken, auf mehrfaches Hinterfragen ins Stottern kommt und nicht weiß, wie er sich verständlich machen soll.
Wat lernt uns das?
An die lieben Kollegen auf der Senderseite:
Auch wenn es Mühe macht, versuchen Sie sich in die Lage eines Menschen zu versetzen, der nicht Ihre Fachsprache spricht. Wir werden Sie umso höher schätzen, je mehr Sie in der Lage sind, wirklich komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen. Der wirkliche Fachmann zeichnet sich nicht nur durch technischen Sachverstand aus, sondern auch durch die Fähigkeit, sein Fachwissen verständlich zu kommunizieren. Ich garantiere Ihnen: Wir dankbaren Zuhörer/Leser werden Sie als Fachmann (an)erkennen und nicht als Flachmann abtun. Es ist ein Unterschied, ob Sie mit Ihresgleichen diskutieren oder mit dem Bauherrn, oft einem fachtechnischen Laien, oder dem Vertreter eines anderen Fachbereichs. Wer große Worte benutzt, will nicht informieren sondern imponieren! Wollen Sie wirklich in diese Ecke gestellt werden?
Also: Entrümpeln Sie Ihre Sprache. Passen Sie sich dem Sprach- und Fachniveau der Zuhörer/Leser an. Verwenden Sie kurze Sätze und vermeiden Sie Verschachtelungen. Benutzen Sie Verben anstelle von Substantivierungen. Erklären Sie fachtypische Abkürzungen und Fremdworte zumindest beim ersten Auftreten, wenn Sie nicht wirklich als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden können. Bilder und Grafiken tragen oft zum Verständnis bei ebenso wie veranschaulichende Beispiele und Analogien aus dem täglichen Leben. Umschreiben Sie komplizierter Sachverhalte und haben Sie bei Rückfragen zu mündlichen Darstellungen den Mut zur Wiederholung mit anderen Worten.
An die lieben Kollegen auf der Empfängerseite:
Keine falsche Scham! Fordern Sie Verständlichkeit ein, das ist Ihr legitimes Recht. Scheuen Sie sich nicht zu fragen, fragen, fragen!