18 Pfui, Emotionen im Beruf!
Bauen verursacht Lärm, Abrissmaßnahmen sind die Hölle - für die Nachbarn oft kein Zuckerschlecken. Im Zusammenhang mit einem Abriss- und Neubauprojekt in der Kölner Innenstadt steht eines Tages ein Mitarbeiter in der Tür mit einem Brief in der Hand. “Das müssen Sie lesen!” meint er. Ich lese. Der Brief eines englischen Gentleman. Von der ersten Zeile an bin ich fasziniert. In den lebendigsten Farben schildert er knapp und doch eindringlich, wie er sich auf dem Penthouse des Gebäudes, das an unsere Baustelle grenzt, ein kleines Paradies geschaffen hat, wie viel Mühe er aufgewendet hat, wie schön es geworden ist und wie gut es ihm dort geht, Verzeihung, ging, bis… Ja, bis wir mit unserer Großbaustelle sein Refugium durch Lärm und Staub zerstörten. Sicher geschähe das ja unbeabsichtigt und wäre im Grunde ja auch unvermeidlich, aber… Dann die Bitte um ein persönliches Gespräch und der Vorschlag, dass wir uns doch einmal einen unmittelbaren Eindruck von seinem Unglück durch einen Besuch auf seiner kleinen Insel verschaffen sollten. Eigentlich habe ich ein Beschwerdeschreiben vor mir. Wortwahl und Ton sind jedoch außergewöhnlich freundlich, eine Prise (für uns typisch britische) Selbstironie, kein Jammerton, keine Anklage, keine Vorwürfe, Unterstellungen, keine Reizwörter, keine kleinen rhetorischen Spitzen und schon gar keine beleidigende Worte. Am Ende liest das ganze Büro diesen Brief und wir sind uns einig: Dem Mann muss geholfen werden. Sofort!
Was lernt uns das?
Eines vorweg: Ich glaube nicht, dass wir ihm wirklich helfen konnten. An unserem Willen lag es jedoch nicht. Trotz aller Bemühungen bleiben Auswirkungen einer großen Baustelle und insbesondere schwerer Abrissarbeiten auf die unmittelbare Umgebung unvermeidlich. Dennoch habe ich eine Lektion gelernt: Dieser Mann war in der Lage, unsere Empathie zu mobilisieren. Statt die unterschiedlichen Interessenslagen zu thematisieren und zu polarisieren, hatte er unsere Sympathie geweckt und unser Verständnis für sein absolut gerechtfertigtes Anliegen. Emotional hatte er uns in sein Boot gezogen. Wie hätten wir wohl reagiert, wenn ein wütender Anrufer in der Leitung gewesen wäre, wenn persönliche Angriffe erfolgt wären, wenn man uns unter Druck gesetzt hätte, wo es kein Ausweichen gab? Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. Dieser Mann hatte durch die Art seines Schreibens unseren Willen geweckt, ihm zu helfen. Kann es eine bessere Voraussetzung geben, einer Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen?
Nach weit verbreiteter Meinung ist es wünschenswert, Emotionen aus dem Geschäftsleben fern zu halten und sich auf die “rein sachlichen” Aspekte einer Angelegenheit zu beschränken. Emotional = unsachlich = schlecht. Dabei kommt es, wie die geschilderte Episode zeigt, gar nicht darauf an, emotionsfrei zu argumentieren. Das erwähnte Schreiben war sogar hoch emotional. Auch Emotionen sind Fakten! Emotionen können durchaus in die “offizielle” zwischenmenschlichen Kommunikation einfließen und entfalten i.d.R. eine ganz besonders starke Wirkung. Es kommt nur darauf an, welche Emotionen mit welcher Wirkung Eingang finden. Gefahr und Potential liegen hier sehr nahe beieinander. Sie können bewusst oder unbewusst Barrieren bilden, Animositäten wecken und den Willen, Probleme zu lösen, unterminieren. Sie können aber auch das Gegenteil bewirken und die “andere Seite” für uns gewinnen helfen, wie das obige Beispiel zeigt.
Übrigens: In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Projektsteuerer kann ich mich konkret an drei Schreiben mit ähnlich positiv-emotionalem Hintergrund erinnern. Die vielen anderen, negativ geprägten, sind mir irgendwie verloren gegangen. Zufall?