03 Wer schreibt der bleibt?
Wer schreibt, der bleibt - manchmal auch auf der Strecke!
Vor geraumer Zeit hatte ich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit einem Kollegen, der sich für mich vor allem dadurch auszeichnete, dass er praktisch alle Aufgaben, Probleme und Vorhaben auf eine andere Art anging als ich. Dies war im Geschäftsleben beileibe kein Nachteil, ganz im Gegenteil. Da wir oft auf unterschiedlichen Wegen zum gleichen Ergebnis kamen, hatten wir dadurch eine gute Querkontrolle über kritische Punkte, da jeder von uns Entscheidungen aus einem anderen Blickwinkel betrachtete. Ein weiterer Vorteil bestand auch darin, dass derjenige z.B. bei Verhandlungen mit dem Auftraggeber, die Federführung übernehmen konnte, der besser mit dem Ansprechpartner zurecht kam oder mit seiner Vorgehensweise besser in die jeweilige Unternehmenskultur passte.
Während wir so im Allgemeinen einen großen Vorteil aus unseren unterschiedlichen Arbeitsansätzen zogen, konnten wir uns dennoch in einem speziellen Punkt nur selten einigen: Während mein Partner die anstehenden Probleme grundsätzlich immer auf dem schriftlichen Weg zu lösen versuchte, suchte ich meist zunächst den persönlichen Kontakt, um dann ggf. nur noch die Ergebnisse schriftlich zu fixieren.
Einer größeren Wohnungsbaugesellschaft hatten wir empfohlen, entgegen der eingefahrenen und ineffizienten Praxis bei der Vergabe von Bauleistungen in dem ersten von uns betreuten, größeren Projekt eine völlig andere Strategie zu verfolgen. Dies rief aufgrund der notwendigen Kompromisse und Einschränkungen der “Besitzansprüche” alteingesessener Seilschaften natürlich nicht nur positive Erwartungen hervor, sondern erzeugte auch erheblichen Widerstand bei einigen Mitarbeitern des Auftraggebers, die sich z.T. auch direkt gegen unser Unternehmen richtete. Die Geschäftsleitung, hin und her gerissen zwischen dem Willen zur Veränderung, der Schwierigkeit, die Auswirkungen unserer Vorschläge einschätzen zu können und Widerständen einzelner Mitarbeiter, schrieb uns aufgrund des internen Drucks irgendwann einen Brief, der nicht nur erneuten Widerstand gegen unsere Vorschläge ankündigte, sondern auch die Richtigkeit unserer Empfehlung in Frage stellte.
Sofort begann mein Partner, ein Antwortschreiben aufzusetzen, in dem er alle Eventualitäten zu berücksichtigen glaubte und juristisch ausgefeilte Formulierungen benutzte, die das zugegebenermaßen etwas polemische Schreiben unseres Kunden entkräften sollten. Die Antwort selbst war inhaltlich absolut sachlich, korrekt und überaus sorgfältig formuliert.
Dennoch war ich nicht überzeugt, dass dies der richtige Weg sei, unsere Position zu vertreten. Aus meiner Sicht forderte dies den Widerstand der Gegner unserer Vorschläge geradezu heraus, ohne der in der Zwickmühle befindlichen Geschäftsleitung wirklich zu helfen, eine Lösung zu finden. Statt die offene Konfrontation im Sinne einer direkten Kommunikation zu suchen, hatte ich das Gefühl, dass wir uns hinter einem Schreiben “verstecken” und über diesen Weg die Auseinandersetzung nicht gut in unserem Sinne beeinflussen können würden. Unsere “Opponenten” hatten zweifellos den Vorteil des “Flurfunks”, innerhalb der Firma im Hintergrund die Fäden zu ziehen und in Ruhe, ohne unsere Einflussmöglichkeit Stimmung zu machen. Ich schlug vor, durch persönliche Präsenz am Tisch Rückgrat zu zeigen und die Diskussion zu suchen, um ggf. auf überraschende Argumente unmittelbar reagieren zu können und den Nachteil auszugleichen, nicht Teil der Firmenorganisation. Außerdem könnten wir damit die Gegner unserer Vorgehensweise direkt erreichen und ihre Gegenargumente entkräften. Wir wären nicht darauf angewiesen, dass die zwischen den Fronten stehende Geschäftsleitung mit der Argumentationshilfe unserer Schreiben unsere fachlich begründete Position intern vertreten müsste.
Da mein Partner in diesem Projekt wie vereinbart die Federführung hatte und sich durch meine Argumente nicht überzeugen ließ, ging das inhaltlich absolut sachliche, korrekte und überaus sorgfältig formulierte Schreiben raus. Erst drei Wochen später und nach einem halben Dutzend teils spitzfindiger, teils polemischer Schreiben, Antworten, Gegenantworten, Stellungnahmen zur Gegenantwort etc. war mein Partner zwar nicht überzeugt, aber praktisch gezwungen, das längst fällige Streitgespräch zu führen, nachdem die genervte Geschäftsleitung um ein gemeinsames Gespräch mit den betroffenen Mitarbeitern und beiden Partnern von unserer Seite gebeten hatte. Die zahlreichen Schreiben hatten die Fronten nicht klären können, ganz im Gegenteil. Es war ein schwieriges Gespräch, aber nach einer zweistündigen Diskussion fiel eine grundsätzliche Entscheidung ganz in unserem Sinne, das Ergebnis wurde schriftlich protokolliert - und gut wars.
Mit etwas mehr Mut zur direkten Auseinandersetzung hätten wir dies viel früher und ohne Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation erreichen können. Nachdem unsere umstrittenen Vorschläge zu einem großen wirtschaftlichen Erfolg geführt hatten, beschloss die Geschäftsleitung übrigens, die von uns propagierte Vorgehensweise generell bei künftigen Projekten einzusetzen - ganz ohne Widerstand.
Wat lernt uns das?
Während es unbestritten sehr wichtig ist, Geschäftsvorgänge, Entscheidungen etc. schriftlich zu formulieren, ist es nicht gesagt, dass die Schriftform immer Vorrang vor der mündlichen Kommunikation haben muss. Im Gegenteil. Insbesondere, wenn es um Entscheidungsprozessen und strittige Themen geht, ist es häufig von Vorteil, die unmittelbare Diskussion und ggf. die konstruktive Auseinandersetzung zu suchen. Dies setzt nicht nur die Beherrschung der eigenen Fachthemen sondern auch eine gewisse Erfahrung im Umgang mit schwierigen Gesprächspartnern, eine gewisse Streitkultur sowie ein Mindestmaß an rhetorischen Fähigkeiten voraus. Als optimal ist es in diesem Fall zu bezeichnen, wenn es gelingt, bereits im Rahmen der Diskussion Einigung über die schriftliche Formulierung des Ergebnisses zu erzielen, um ein für alle mal die Gefahr auszuschließen, dass ein einmal erzieltes mündliches Ergebnis durch Einsprüche gegen das später erstellte Protokoll aufgrund angeblicher Missverständnisse, falscher Darstellung etc. wieder in Frage gestellt wird.
Die ausschließlich schriftliche Auseinandersetzung zu kontroversen Themen birgt die Gefahr, sich in Spitzfindigkeiten zu versteigen, die jeweilige Position nur zu verteidigen ohne auf konstruktive Vorschläge oder Kompromisse einzugehen. Keine Angst vor Emotionen! Wenn man sich seiner Sache sicher ist, können die emotionalen Faktoren, die in schriftlicher Form nur sehr eingeschränkt eingesetzt werden können, den Ausschlag geben, die Gegenseite zu überzeugen und sich durchzusetzen. Nur während einer mündlichen Auseinandersetzung hat man darüber hinaus die Möglichkeit, auf absichtliche oder unbeabsichtigte Fehlinterpretationen einzugehen, Sachverhalte klarzustellen, Unsicherheiten oder Wissenslücken auf der anderen Seite zu erkennen und auszuräumen, Missverständnisse sofort zu bereinigen und vielleicht auch eigene Fehler zu erkennen und zu korrigieren bevor sie größeren Schaden verursachen. Bei einer schriftlichen Auseinandersetzung lassen sich einmal geschriebene Dinge sehr viel schwerer korrigieren, die Wirkung schwerer einschätzen und der vielleicht angestoßene Prozess schwerer oder gar nicht beeinflussen - bis die Antwort eintrifft und die bereits begonnene Eskalation sichtbar wird. Alles in allem stellt die mündliche Auseinandersetzung höhere Anforderungen an Flexibilität, Souveränität, Spontanität, rhetorische Fähigkeiten, ist dafür jedoch unmittelbarer, schneller.
Meine Erfahrung: Man muss sich immer überlegen, welche Vorgehensweise in einer bestimmten Gelegenheit erfolgversprechender ist. Schreiben ist definitiv wichtig, reden manchmal effizienter. Und oft ist es nur eine Frage der Reihenfolge: Erst reden, dann schreiben - und bleiben!