Machtspielchen
Arthur Boss, Sie kennen ihn schon aus Kapitel 14 Hoppla - Hi, Arthur!, hatte eine unangenehme Angewohnheit, um seinen Status als Chef zu demonstrieren: Oft ließ er einen seiner Untergebenen rufen. Nachdem dieser das Büro betreten hatte, ließ er ihn ohne Begrüßung, ja ohne ihm überhaupt irgendeine Beachtung zu schenken, vor seinem Schreibtisch stehen, während er ungerührt mit gesenktem Kopf fortfuhr, minutenlang irgendwelche Schreibarbeiten zu vollenden, bis er endlich geruhte, Notiz von seinem Besucher zu nehmen.
Ich empfand dieses regelmäßig stattfindende Ritual als unverschämt und repektlos und suchte nach einer wirksamen Gegenstrategie. Zum einen wollte ich damit meine Selbstachtung bewahren, zum anderen, um zu demonstieren, dass ich mich durch dieses Verhalten nicht in eine demütigende, passive Warteposition zwingen lassen würde. Nach einigen Sekunden des Ignoriert-werdens schnappte ich mir einen Stuhl aus der Besprechungsecke, platzierte diesen vor Arthur's Schreibtisch und machte es mir darauf weiterhin wortlos abwartend, Beine übereinandergeschlagen, demonstrativ gemütlich.
Dieser Tanz wiederholte sich mit schöner Regelmäßigkeit, ohne dass mein Boss je eine Bemerkung darüber verloren hätte. Jedenfalls nicht bis zu unserem Verabschiedungsgespräch, nachdem ich irgendwann gekündigt hatte. Erst bei dieser Gelegenheit gab er sich die Blöße zu zeigen, dass meine Strategie auch bei ihm Wirkung gezeigt hatte. Ich sei, so bemerkte er nicht ohne einen vorwurfsvollen Unterton, der einzige aus seiner Mannschaft gewesen, der sich immer einen Stuhl genommen hätte, wenn er zum "Rapport" gerufen wurde! Innerlich musste ich grinsen, während ich ihm ohne eine Miene zu verziehen und zugegebenermaßen etwas scheinheilig antwortete, er wäre ja immer so beschäftigt gewesen und ich habe ihn halt nicht mit irgendwelchen Bemerkungen oder Fragen stören wollen, während ich auf ihn wartete. Daraufhin sagte er nichts mehr, aber ich spürte mit Genugtuung seinen Unmut darüber, dass ich seine Machtdemonstration durchkreuzt hatte.
Wat lernt uns das?
Manche Menschen scheinen es nötig zu haben, durch hierarchiebetonendes Revierverhalten ihren Status gegenüber untergeordneten Mitarbeitern zu markieren. Nicht immer ist es nötig, auf eine Provokation offen und direkt zu reagieren. Wer wie eine beleidigte Leberwurst reagiert, zeigt damit nur, dass der Unterwerfungsmechanismus funktioniert hat. Den nach Dominanz strebenden Gesprächspartner wird das wenig interessieren sondern ihm, ganz im Gegenteil, möglicherweise sogar eine gewisse Befriedigung verschaffen.
Zwei Gegenstrategien kommen mir in den Sinn, die mir unter dem Gesichtspunkt der hierarchischen Asymmetrie wirksamer erscheinen als die direkte Konfrontation oder klein beizugeben:
Mit einer demonstrativen Gelassenheit und Nicht-reagieren kann man zeigen, dass man sich durch das gezeigte Dominanzverhalten nicht beeindrucken lässt. Zur Schau getragene fortgesetzte Freundlichkeit, Fröhlichkeit, gute Laune kann dabei durchaus eine Waffe sein, die zeigt, dass die Machtdemonstration nicht den gewünschten Erfolg hat und nicht mit Unterwerfungsgesten beantwortet wird. Siehe hiezu auch Kapitel 02 Lotus-Effekt gegen Ellenbogen.
Demonstratives Ignorieren reicht vielleicht nicht mehr aus, wenn das Dominanzverhalten demütigende Züge annimmt und die Würde des Gesprächspartners beeinträchtigt. Wann diese Grenze überschritten wird, ist eine Frage des subjektiven Empfindens, die jeder Mensch nur für sich selbst beantworten kann. Die direkte Konfrontation bringt gerade in der Auseinandersetzung mit Vorgesetzten eigene Gefahren mit sich. Wie das obige Beispiel zeigen soll, kann es zwischen Ignorieren und aktiver Gegenattacke eine subtilere Art der Gegenwehr geben, die weniger angreifbar ist und den gleichen Zweck bei geringerem Risiko verfolgt, nämlich Aufrechterhaltung der Selbstachtung und Wiederherstellung der Balance - Kommunikation auf menschlicher Augenhöhe. Ein Patentrezept hierzu gibt es leider nicht. Es bleibt Ihrer Phantasie und den jeweiligen Umständen überlassen, wie Sie reagieren. Lassen Sie sich etwas einfallen!