44 Teuer gewinnt!
Die Firma plant eine größere Anschaffung für ihre technische Ausstattung. Der zuständige leitende Mitarbeiter holt über ein Dutzend Angebote ein. Zwei Anbieter überleben die Vorauswahl - kein Zufall, dass beide zu den führenden Unternehmen auf dem Markt gehören. Firma A bietet neue Geräte zu einem günstigen Preis an. Firma B offeriert dagegen gebrauchte Geräte zu einem Preis, der über dem der Konkurrenz liegt. "Klarer Fall!", denken Sie. Falsch gedacht! Den Auftrag erhält Firma B. Sie denken an ein krummes Geschäft, Vetterleswirtschaft, Bestechung vielleicht. Wieder falsch! Zusätzliche Garantien, Nebenleistungen, andere geldwerte Vorteile? Nichts dergleichen!
Während der Angebotsphase hatte sich der zuständige Verkäufer ordentlich ins Zeug gelegt, sich um den Käufer bemüht, sich über rein geschäftliche Dinge auch Zeit gelassen, um einmal über persönliche Interessen, Familie, Urlaub zu plaudern. Kurz, es war ihm gelungen eine persönliche Beziehung aufzubauen. Die Entscheidung des Käufers erfolgte daher auf der Basis von Sympathie und Vertrauen in die nachhaltige Zuverlässigkeit des Verkäufers auch in der Zukunft, und nicht etwa auf der Basis erfolgsmotivierter Versprechungen, kurzzeitiger wirtschaftlicher Vorteile oder technischer Überlegenheit.Sie denken, dies sei ein hypothetischer Fall und ich hätte mir das alles ausgedacht? Erneut Fehlanzeige! Diese Woche (März 2013) passiert.
Wat lernt uns das?
Zunächst straft dieses Ereignis, das mit Sicherheit kein Einzelfall ist, eine ganze Reihe von Philosophen und Wirtschaftstheoretiker Lügen. Jahrhundertelang haben sie versucht uns einzureden, dass sich der Mensch vor allem über das rationale Denken definiert. Manche haben gar Emotionen als krankheitsähnliche Verirrungen des Geistes betrachtet. Im wesentlichen würde die Vernunft unsere Entscheidungen bestimmen - oder wenigstens sollte sie das nach Meinung der Gelehrten. Das geschilderte Ereignis wäre demnach nichts weiter als unverständlicher Ausbruch spontaner Unvernunft, ein Zeichen mangelnder Professionalität oder fehlender Kompetenz. Mit der Brille der alten Philosophen und mancher Entscheidungstheoretiker betrachtet, mag das so sein. Wird Zeit, dass wir die Brille putzen.
Die Aussagen über die Vormachtstellung der menschlichen Vernunft entpuppen sich als nichts weiter als subjektive Wertvorstellungen und Theorien, die mit den biologischen Entscheidungsvorgängen kaum etwas zu tun haben. Die "Mikroskope" des Neurowissenschaftlers mit den unhandlichen Namen Elektroenzephalographie (EEG) oder funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) zeigen seit etwa Mitte der 80er Jahre ein anderes Bild. Demnach durchlaufen alle rationales Entscheidungen - und alle heißt tatsächlich 100% - einen Filter emotionaler Bewertung. Nach heutigen Erkenntnissen gibt es keine rationalen Entscheidungen ohne die Beteiligung emotionaler Prozesse. Menschen, deren Emotionszentren im Gehirn eine Schädigung erlitten haben, können das normale Leben nicht mehr bewältigen, sind zu rationalen Entscheidungen nicht mehr fähig und sind nicht etwa, wie man erwarten könnte, hyper-rational.
Verabschieden wir uns also vom alleinigen Herrschaftsanspruch der Ratio. Der homo oeconomicus ist tot. Werden wir uns stattdessen bewusst, welch wichtige Rolle in unserem Leben Emotionen und zwischenmenschliche Beziehungen spielen. Möglicherweise ändert dies auch den Umgang mit unseren Mitmenschen, unserer Kommunikation und der Bedeutung, die wir gemeinhin den Fakten beimessen. Gefühle haben entgegen landläufiger Meinung im Berufsleben doch etwas zu suchen und die Neurowissenschaften werden dazu führen, dass das Wort "Beziehungen" im Berufsleben vielleicht einmal seinen schlechten Beigeschmack verliert.