38 Teure Leberwurst
Leberwurst ist nicht gerade teuer. Wie teuer aber eine "beleidigte Leberwurst" werden kann, habe ich vor einiger Zeit erfahren.
Ich bin beauftragt mit der Projektsteuerung eines größeren Verwaltungsgebäudes. Bei dem ersten Gespräch mit dem Bauherrn erfahre ich, dass ein Architekt bei der Suche nach einem Grundstück behilflich sein und einige grafische Zuarbeiten für die vorbereitende Besprechung der Geschäftsführung leisten soll. Bei mir geht sofort eine kleine HOAI-Alarmlampe an. Nein, versichert man mir, kein Grund zur Besorgnis. Die Beauftragung sei ganz klar abgesprochen. Der Architekt habe zwar im Eigeninteresse sehr viel mehr vorgelegt als verlangt. Dies sei aber ausschließlich von ihm selbst ausgegangen. Na ja, denke ich, wenn das so ist… Schließlich arbeitet er schon seit langem für diese Firma.
Einige Zeit später habe ich einen besseren Überblick: Der Architekt ist kein Architekt, da er kein Mitglied der Architektenkammer ist. Ein früher geplantes Bürogebäude für den gleichen Bauherrn zeigt aus meiner Sicht große Planungsmängel: Sehr große Gebäudetiefen verhindern die Grundrissanpassung an Einzelbüros, ein Installationsraster von 6m behindert die erforderliche Verdichtung von Arbeitsplätzen im Großraum, statt der nach den Richtlinien erforderlichen acht Toiletten zähle ich über 30, "Füllmaterial" für nicht nutzbare Innenbereiche (?), ganze Raumbereiche sind ohne funktionale Erfordernisse von zwei Seiten erschlossen, selbst Mitarbeiter, die häufiger in das Gebäude kommen, verlaufen sich bei der Suche nach dem Ausgang, die Beheizung ausschließlich über Betonkernaktivierung reagiert äußerst träge auf kurzfristige Wetterwechsel usw. Wir diskutieren über die Frage, ob der "Architekt" für die anstehende Aufgabe geeignet ist und die Geschäftsführung beschließt, ein Auswahlverfahren durchzuführen, bei dem sich Architekten aus der Umgebung bewerben können. Man beschließt außerdem, dass der "Hausarchitekt" in das Auswahlverfahren einbezogen und vorab vom Verfahren informiert werden soll, um ihn nicht zu brüskieren.
Es findet also ein Gespräch statt mit "Architekt", Auftraggeber und Projektsteuerer. Das Auswahlverfahren wird vorgestellt und mit der ungewöhnlichen Größe der anstehenden Aufgabe begründet. Der "Architekt" reagiert sauer. Er habe doch bereits einen Auftrag und im Übrigen bereits "erhebliche Vorleistungen" erbracht. Er habe bereits einen bauantragsreifen Vorentwurf vorgelegt. Der Auftraggeber weist auf die früheren Absprachen hin und ich mache darauf aufmerksam, dass es zur Zeit weder eine Bestandsaufnahme noch ein Raum- und Funktionsprogramm, ja, nicht einmal irgend eine Zielvorgabe des Auftraggebers gibt. Die auf eigene Initiative vorgelegten Pläne zeigen einige schematische Grundrisse und irgendwelche Fassaden. Begleitende Unterlagen wie Kostenschätzung, Flächenbilanz, Baubeschreibung etc. fehlen. Aufgrund der Diskussion fordert der Auftraggeber, eine Rechnung über alle bisher unstrittig beauftragten und erbrachten Leistungen vorzulegen. Gleichzeitig soll eine Bestätigung erfolgen, dass die nicht verlangten Leistungen auch nicht berechnet würden. Der künftige Vorentwurf müsse zudem auf den qualitativen und quantitativen Vorgaben der Geschäftsführung beruhen. Der "Architekt" grummelt, legt aber die gewünschte Rechnung mit der entsprechenden Bestätigung vor und bleibt weiter im Auswahlverfahren. Die Rechnung wird im Übrigen anstandslos bezahlt.
Verschiedene Architekten präsentieren nach einiger Zeit ihre Büros und ihre Arbeiten. Mit dabei ist auch der "Architekt". Es stellt sich bei dieser Gelegenheit heraus, dass das oben geschilderte, etwas unglückliche Bürogebäude seine einzige Referenz in diesem Sektor ist. Der Auftrag wird schließlich an einen Kollegen vergeben, der sich durch umfangreiche Erfahrungen im Bereich Büro- und Verwaltungsgebäude auszeichnet.
Es dauert nicht lange, bis der Auftraggeber weitere Rechnungen erhält: Aus dem angeblich vollständig erbrachten Vorentwurf ist in der Zwischenzeit ein kompletter Entwurf geworden, Leistungsphasen 1-3 der HOAI vollständig erbracht, die Verzichtserklärung für die nicht anerkannten und in Eigeninitiative erbrachten Leistungen ist keine Verzichtserklärung sondern sei "ganz anders" gemeint, die Honorarzone ist nach oben gerutscht, außerdem sind Maklerleistungen für das in der Zwischenzeit angekaufte Grundstück in Höhe von 5% fällig - alles in allem eine Forderung zwischen 250.000,- und 300.000,- €!
Sie können sich denken, wie es weitergeht: Ablehnung, Mahnung, Rechtsanwalt, 1. Gerichtstermin vor dem Landgericht. Der Richter signalisiert, dass er keine Chance zur Anerkennung der Forderung sieht und rät zur gütlichen Einigung. Diese kommt nicht zustande. 2. Gerichtstermin mit einem halben Dutzend Zeugen. Der Richter fällt ein Urteil: Forderung zu 100% abgelehnt. Geschätzte Prozess- und Nebenkosten in der Größenordnung von > 20.000,-€.
Dafür hätte ich sicher 2.000 kg Leberwurst kaufen können!
Wat lernt uns das?
So macht man sich nicht nur den Auftraggeber, sondern auch seinen Ruf kaputt. Zu keinem Zeitpunkt hatte der Auftraggeber die Absicht, seinen "Hausarchitekten" zu demontieren. Über die Jahre weg, hatte dieser immer wieder kontinuierlich kleinere und größere Umbaumaßnahmen geplant und geleitet. Nur für die spezielle Aufgabenstellung eines Bürogebäudes von der mehrfachen Größe des bereits vorhandenen, problembehafteten Gebäudes erschien er aus gutem Grund nicht der Partner der ersten Wahl zu sein.
Dabei hat er sämtliche positive Signale des Auftraggebers offenbar nicht wahrgenommen: Weder die umfassende Vorabinformation und Aufklärung über die Vorgehensweise und die Gründe dafür (wobei bestehende Schwächen des von ihm geplanten Gebäudes sachlich und ohne Vorwurf erwähnt wurden) noch die Ankündigung ihn in anderen routinemäßig anstehenden Aufgaben weiter beauftragen zu wollen.