29 Verräterische Mimik
Vor einiger Zeit nahm ich an einer gerichtlich veranlassten Mediation in einem Nachbarschaftsstreit teil, bei der es um viel Geld im Zusammenhang mit einem größeren Bauvorhaben ging. Der Nachbar meines Auftraggebers wollte aus fadenscheinigen Gründen eine vertraglich vereinbarte Entschädigungszahlung nicht mehr leisten und mein Auftraggeber hatte ihn deswegen verklagt.
Nach den ersten Schilderungen der Vertragsparteien ist es an dem Rechtsanwalt auf unserer Seite, seine Sicht der Rechtslage darzustellen. Bei den zentralen Punkten seines Vortrags beobachte ich den gegnerischen Rechtsanwalt, der sich wiederum unbeobachtet glaubt. Bei den zentralen Argumenten, bei denen nach unserer Einschätzung eine starke Rechtsposition zu unseren Gunsten herrscht, die die Gegenseite bisher immer bestritten hat, schiebt er die Unterlippe etwas vor und zeigt ein leichtes, fast unmerkliches Nicken. Ich weiß in diesem Moment, hier teilt er offensichtlich die Ansicht seines Kollegen auf der Gegenseite, hier wird er nachgeben bzw. seinen Mandanten entsprechend beraten.
Später bin ich noch einmal an der Reihe und bringe vor, dass der Nachbar in der entscheidenden Vertragsverhandlung, die nun Anlass zum Streit gibt, nicht alleine war, sondern durch einen fachkundigen Bauexperten beraten und unterstützt wurde. Auch dies ist einer der wichtigen Punkte, da es u.a. um die Frage geht, ob der Nachbar, übrigens Bauherr eines mehrere Millionen schweren Bauvorhabens, in einer Mischung aus Naivität und mangelnder Fachkenntnis unter Druck gesetzt und über den Tisch gezogen wurde. Hier zieht der gegnerische Anwalt die Augenbrauen etwas zusammen und wirft seinem Mandanten einen schnellen Blick zu. Ich registriere: Das war ihm bisher nicht bekannt und ist neu für ihn. Die kurze Irritation signalisiert mir: Auch dieser Umstand schwächt seine Chancen, den drohenden Prozess zu gewinnen.
Beide Beobachtungen bestärken unsere Verhandlungsposition. Nach einer Besprechungspause, zu der sich beide Seiten zur internen Besprechung zurückziehen, kommt es zu einem Vergleich. Dieser endet, für mich nicht mehr überraschend, mit einem vollen Erfolg für unsere Seite und sämtlichen Kosten beim Gegner.
Am Ende verabschiede ich mich und bedanke mich mit einem inneren Schmunzeln bei dem gegnerischen Rechtsanwalt "für das konstruktive Gespräch".
Wat lernt uns das?
Nicht umsonst gilt das "Pokerface" als sprichwörtliches Mittel, um seine Gedanken, Gefühle und Absichten vor dem zu verbergen, der gerne einen Vorteil daraus schlagen möchte. Es gibt zahlreiche Schilderungen von professionellen Kartenspielern, durch welche, manchmal winzigen Anzeichen der Gegner verrät, ob er ein gutes oder schlechtes Blatt hat, ob er nervös ist oder ob er sich sicher fühlt und mit großer Gelassenheit auf den nächsten Spielzug wartet.
Genau das gleich gilt in jeder Verhandlung. Auch hier gilt es, die Gegenseite gut zu beobachten und nicht nur auf die Worte, sondern auch auf die Körpersprache zu achten. Das Unterbewusstsein spielt dabei eine große Rolle und stellt, was die eigene verräterische Botschaft betrifft auch eine gewisse Gefahr dar. Insbesondere wenn Emotionen ins Spiel kommen, sind unkontrollierte Reaktionen oft vorprogrammiert. Selbst wenn diese Signale von dem Verhandlungspartner oft nicht bewusst wahrgenommen werden, so sind diese dennoch wirksam und geben wertvolle Informationen preis.
Natürlich lassen sich diese Signale auch ganz bewusst einsetzen. Eine hochgezogene Augenbraue signalisiert dem Gesprächspartner möglicherweise schon während er spricht, dass seine Argumentation auf Skepsis stößt, während ein freundliches Nicken ihn vielleicht ermuntern soll, den Weg in die eingeschlagene Richtung fortzusetzen.
Nietzsche hat einmal gesagt: "Man lügt wohl mit dem Munde; aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch die Wahrheit". Wie recht er hat!