39 Überraschung!
Vor einigen Jahren führte ich einige Akquisitionsgespräche mit einem ausländischen Kunden, der für seine Aktivitäten in Deutschland Unterstützung benötigte. Nachdem feststand, worum es in der Sache ging, bat er um ein schriftliches Angebot nach Aufwand, das ich ihm wunschgemäß übersandte. Kurze Zeit später meldete er sich telefonisch, um mir mitzuteilen, dass der angebotene Stundensatz zu hoch sei. In Anbetracht des in Aussicht gestellten Arbeitsumfangs hatte ich dem potentiellen Kunden bereits einen Nachlass auf die üblichen Stundensätze eingeräumt und keine Lust, diesen weiter zu reduzieren. Ich bat um Bedenkzeit. Am nächsten Tag schrieb ich ihm eine Email. Darin bot ich ihm allen Ernstes an, das Honorar selbst festzulegen.
Nicht, dass ich grundsätzlich sehr risikofreudig wäre, aber ich hatte ein gutes Bauchgefühl, was die Seriosität des Auftraggebers betraf. Er war etwas überrascht und wollte darüber nachdenken. Danach hörte ich etwa zwei Wochen nichts mehr von ihm. Ich war sehr gespannt, wie er auf meinen Vorschlag, den ich nach fast 20 Jahren Selbständigkeit zum ersten Mal wagte, reagieren würde. Nach 14 Tagen dann ein Anruf: "Wir sind mit Ihrem ursprünglichen Vorschlag einverstanden!" Ich war ehrlich überrascht. Nicht dass ich mit diesem Ergebnis wirklich gerechnet hätte. Aber ich hatte auch nicht das Gefühl, dass er mein Angebot wirklich ausnutzen würde. Heute, etliche Jahre später, arbeite ich noch immer für diesen Kunden. Er ruft an mit einer neuen Aufgabe und ich fange an zu arbeiten. Kein neues Angebot, keine Auftragsbestätigung, keine Probleme mit der Bezahlung (das gilt übrigens auch für anfallende Handwerkerrechungen oder andere Dienstleistungen).
Dass ich mit meinem Vorschlag vielleicht sogar den sportlichen Nerv meines Auftraggebers getroffen habe, zeigte sich vor kurzem, als er in der strittigen Frage, wer die Reparaturkosten eines Gebäudeschadens zahlen sollte, den Vorschlag machte, dies vom Ergebnis eines Fußballspiels zwischen den beiden Nationen abhängig zu machen. Seine Mannschaft verlor - und er zahlte!
Wat lernt uns das?
Manchmal lohnt es sich, auf intuitive Einfälle zu hören, auch wenn sie im ersten Moment unkonventionell erscheinen. Intuition kommt nicht aus dem Nichts. Sie basiert i.d.R. auf früheren Erfahrungen, auch wenn diese nicht bewusst und nachvollziehbar sind. Dennoch stellen sie eine besondere Form der Intelligenz dar, die anders funktioniert als das Abarbeiten einer rationalen Kriterienliste. Erstaunlicherweise wirkt sie besonders bei sehr komplexen Themen, sofern man über einige Erfahrungen in diesem Bereich verfügt und sofern man erste Eindrücke erst einmal sacken lässt, ohne sich mit dem Thema allzu intensiv zu beschäftigen.
Dennoch rate ich zur Vorsicht. Vor Kurzem habe ich erfahren, wie es ist, wenn man unbedacht reagiert: Eine schwierige Verhandlung mit einem sehr hartnäckigen Justitiar eines Auftraggebers. Wir hatten uns an einem Punkt festgebissen und drehten uns viel zu lange im Kreis, ohne eine Lösung zu finden. Aus schierer Verzweiflung machte ich einen Vorschlag, der eine Begrenzung der von ihm geforderten Zusatzleistungen auf eine gewisse Spanne von… bis… vorsah. Die von mir vorgeschlagene Spanne war recht hoch und umfasste einen Wert, den ich als meine oberste Grenze betrachtete und am anderen Ende das, was vermutlich seine unterste Grenze darstellte. Ohne zu Zögern “schlug er zu”, legte mich sofort auf die für mich ungünstigste Lösung fest und verhandelte auf dieser Basis weiter. Was als Diskussionsgrundlage gemeint war, brachte mich in eine recht ungünstige Position, aus der ich nicht mehr heraus kam, da der Vorschlag ja von mir stammte und ich selbst die Grenzen definiert hatte. Kein Beinbruch, aber geärgert habe ich mich schon - mehr über mich als über ihn. Den Fehler mache ich nie wieder!
Stress ist eben kein guter Ratgeber und schränkt bekanntermaßen die Denkfähigkeit ein.