45 Konfliktscheuer Bauherr
Ich bin baff! Der Bauherr, der mich zu einem Gespräch über eine Projektsteuerungsaufgabe eingeladen hat, sagt von dem Architekten, mit dem er seit einigen Jahren immer wieder zusammenarbeitet, und der auch die kommende Aufgabe übernehmen soll, dieser sei korrupt und betrüge ihn (so wörtlich!). Auf meine erstaunte Frage, warum er ihn denn dann immer noch beauftrage und sich nicht nach einer Alternative umschaue meint er, es sei halt für ihn als Bauherrn bequem, er müsse sich um nichts kümmern, der Architekt würde alles schon kennen etc. Da er recht wohlhabend ist, kann er die finanziellen Nachteile offenbar leichter verschmerzen als eine Beeinträchtigung seines zweifellos vorhandenen Harmoniebedürfnisses und seiner Bequemlichkeit. Nachdem ich noch mehr über diesen Herrn mit dem zweifelhaften Ruf erfahren habe, spreche ich offen aus, dass anfängliche Spannungen nicht auszuschließen wären, wenn ich im Auftrag des Bauherrn, die Projektsteuerung und damit bestimmte Überwachungs- und Entscheidungsaufgaben übernehmen würde. In diesem Fall wäre ich auf die Rückendeckung durch den Bauherrn angewiesen, da ich sonst meine Aufgaben nicht wahrnehmen könne und der Bauherr das Geld für die Projektsteuerung zum Fenster hinauswerfen würde.
Etwas später kommt der Architekt zu dem Gespräch hinzu. Auf die für ihn überraschende Nachricht, dass der Bauherr beabsichtigte, einen Projektsteuerer einzuschalten, reagiert er sichtlich ungehalten, stellt die Entscheidung des Auftraggebers in Frage, versucht mir vorzuschreiben, was meine künftige Aufgabe wäre etc. Das Gespräch nimmt langsam die Form eines Verhörs an und dann - verlässt der Bauherr ohne weitere Erklärung das Gespräch. Jetzt dreht der Architekt erst richtig auf, stellt meine Qualifikation in Frage, wirft mir vor, mich zwischen Ihn und den Bauherrn zu drängen und versucht, mich mit beleidigenden Äußerungen zu provozieren. Ich antworte mit demonstrativer Gelassenheit und denke mir, "Warte Bursche, Du wirst mich schon noch kennenlernen!" Dazu kommt es dann nicht. Der Bauherr verzichtet auf die geplante Beauftragung der Projektsteuerung. Allerdings habe ich ihm wohl auch ein wenig die Augen geöffnet. Wie ich später erfahre, beendet er die Zusammenarbeit mit dem üblen Zeitgenossen, der ihn lange Jahre belogen und betrogen hat - und beauftragt stattdessen eine Firma mit der Errichtung eines Fertigbaus.
Wat lernt uns das?
Es wäre nicht fair gewesen, dem Bauherrn aus Eigeninteresse die realistische Einschätzung der Situation vorzuenthalten. Ich hatte auch keine Lust, einem Auftrag entgegenzusehen, in dem ich über kurz oder lang wie ein streitender Schuljunge eine fehlende Kooperation des Architekten bei einer "höheren Instanz", dem Bauherrn, einfordern zu müssen. Einen freundlichen, vielleicht etwas naiven und dazu überaus harmoniebedürften älteren Herrn ändern zu wollen lag mir ebenfalls fern. Ganz zu schweigen von einem offensichtlich "auf Krawall gebürsteten" Architekten, der seine Felle davonschwimmen sah. Der Schmerz über das entgangene Projekt hielt sich in Grenzen, zumal mich der Bauherr unerwartet auf freiwilliger Basis, ohne dass ich eine Forderung erhoben hätte, für die aufgewendete Zeit entlohnte - ein nobler Zug, wie ich fand.
An einem anderen Tag hätte ich mich vielleicht auf eine Auseinandersetzung mit dem Architekten eingelassen. An diesem Tag hatte ich einfach keine Lust dazu, und das war gut so. Ich habe meine Nerven geschont und es gab mir ein gutes Gefühl, nicht auf die offensichtlichen Provokationen eingestiegen zu sein. In meinen Soft-Skill-Seminaren werde ich gelegentlich gefragt, wie man es schafft, auf streitsüchtige Zeitgenossen nicht zu reagieren oder Provokationen an sich abgleiten zu lassen, statt mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Ich bin mir dessen bewusst, dass mich jemand mit seinem aggressiven Verhalten aus der Reserve locken will, mich manipulieren will. Gleichzeitig weiß ich, dass Ärger und Stress die Sinne vernebeln und das klare Denken verhindern. Was also liegt näher, als innerlich zu schmunzeln und durch die demonstrative Gelassenheit zu zeigen, dass man dagegen immun ist. Diese Gelassenheit ist im Übrigen, wenn man diese Denkweise verinnerlicht hat, keine Show, sondern echt. Die Provokation geht einem dann wirklich nicht mehr unter die Haut, sondern perlt an einem ab - ein gutes Gefühl der Kontrolle und Souveränität! Versuchen Sie es mal!