21 Hammer gegen Monsun
Während meiner Zeit in Indien lebte ich in einer Wohnung, die vom PWD, dem Public Works Department, betreut wurde. Während der enormen Regenfälle des Monsun drang immer wieder Wasser durch eines der Fenster und lief ins Zimmer, da der Kitt zwischen Scheiben und Rahmen fehlte. Also rief ich die entsprechende Telefonnummer an, schilderte das Problem. Einige Zeit später klingelte der Handwerker, der das Problem beheben sollte. Seine Ausrüstung versetzte mich in Erstaunen: Statt etwas Fensterkitt trug er einen Eimer mit Sand und Zement, Hammer, Meißel und eine Kelle. "Nahi", sagte ich. "Nee, wir brauchen einen, der das Fenster repariert. Das ist sicher ein Missverständnis" und schickte ihn wieder weg. Noch ein Anruf, und einige Tage später stand wieder ein Handwerker in der Tür - mit einem Eimer Sand, Zement, Hammer, Meißel und Kelle. Diesmal entwickelte sich eine etwas längere, radebrechende Diskussion. Seine Englischkenntnisse und meine beginnenden Hindifähigkeiten reichten jedoch nicht aus, um Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, und ich schickte ihn wieder nach Hause nicht ohne eine gewisse Verwunderung ob des neuen Missverständnisses. Neue Schilderung des Sachverhalts am Telefon, neuer Termin, und da war er wieder, ein Handwerker der PWD, diesmal mit etwas besserem Englisch und ausgestattet mit - dreimal dürfen Sie raten - Sand, Zement, Hammer… Allerdings verblüffte er mich mit seiner Hartnäckigkeit. Nein, nein, das Problem gäbe es in diesen Wohnungen öfters. Er hätte dies schon öfter repariert. Ich solle ihn ruhig machen lassen. Mehr verstand ich ohnedies nicht und mit einer Mischung aus amüsierter Skepsis und Neugierde ließ ich ihn ein.
Und dann legte er los: Unter dem Fensterrahmen schlug er zunächst ein Loch in das Mauerwerk nach außen. Anschließend trug er ein Bett aus dickem Mörtel auf die innere Fensterbank auf mit einem Gefälle zum Loch. Freudestrahlend - wahrscheinlich auch über meinen gebrochenen Widerstand und meine offensichtliche Verblüffung - erklärte er mir nun mit Händen, Füßen und seinem Hindi-Englisch, dass das Problem gelöst wäre. Das Wasser, das jetzt immer noch durch die undichten Scheiben dringen konnte, könne jetzt nicht mehr ins Zimmer eindringen, sondern würde schön sauber nach außen ablaufen. Tik häi? Gut so? Dhanjewad, tik häi! Danke, es ist okay!
Wat lernt uns das?
Man muss nicht "Das Harvard-Konzept" gelesen haben, um die Situation zu verstehen. Vermutlich gab es gerade keinen Kitt oder dieser war teurer als Zement oder die Handwerker wussten nicht damit umzugehen oder, oder, oder. Aber was es gab, war eine kreative Alternative. Mein Interesse lag in einem trockenen Zimmer, auch wenn ich zunächst nur an eine einzige Möglichkeit gedacht hatte, nämlich zu verhindern, dass das Wasser überhaupt eindrang, d.h. das Fensterglas einzukitten. Aufgrund irgendwelcher Umstände war dies anscheinend jedoch nicht möglich. Also lassen wir den Regen ruhig durch das Fenster laufen, sorgen wir aber dafür, dass es ohne Schaden anzurichten auf dem schnellsten Weg wieder ablaufen kann - auch eine Lösung, wenn auch vielleicht nicht die eleganteste und, den Gegebenheiten entsprechend, vielleicht die einzig machbare.
Übertragen auf andere Situationen heißt dies: Kommt man in Verhandlungen nicht voran, haben sich die Partner vielleicht zu sehr auf festgefahrene Positionen (Fenster einkitten) versteift. Es könnte Bewegung in die Angelegenheit kommen, wenn beide einen Schritt zurücktreten und gemeinsam überlegen, wo die wirklichen Interessen liegen (trockenes Zimmer) und welche Alternativen es gibt (Ablauf schaffen), um die echten Bedürfnisse zu befriedigen. Enorm hilfreich ist es dabei, die zunächst verfahrene Situation nicht auf persönliches Unvermögen der anderen Seite zurückzuführen, Schuldzuweisungen vorzunehmen oder gar zu persönlichen Angriffen überzugehen. Dies blockiert nur unnötigerweise den Kooperationsbereitschaft der Gegenseite und verhindert kreative Lösungen.