31 Die ersten 10 sec.
Die erste Präsentation des Projekts mit dem bis dahin noch unbekannten Geschäftsführer des Auftraggebers war schon vier Mal verschoben worden. Der letzte Termin war auf vier Uhr angesetzt, Freitag Nachmittag, sehr "beliebt" bei allen Mitarbeitern. Es ist bereits 20 vor fünf und ein Anruf aus dem Auto informiert uns Wartende von “ein paar Minuten Verspätung”. Nach kurzer Zeit beschließen mein Counterpart und ich, uns einen Kaffee in der Kantine zu holen. Der Kaffee läuft gerade aus der Maschine, als das Mobiltelefon klingelt. Der Geschäftsführer ist eingetroffen und wartet auf uns - so schnell ändern sich die Vorzeichen. Mein Counterpart ist etwas nervös. Der Geschäftsführer ist bekannt für seine kritischen Fragen, für seine Hartnäckigkeit und seine Durchsetzungsfähigkeit. Der Ruf, der ihm unter den Mitarbeitern bis hinauf in die Führungsebene vorauseilt, scheint schon von "etwas mehr", als nur Respekt geprägt zu sein. Ich bin gespannt. Mit großen Schritten geht es zurück, soweit es die volle Tasse zulässt. Unsere Verspätung beträgt allenfalls 1-2 Minuten.
Wir stellen uns kurz mit Namen vor, und bevor der Geschäftsführer weiter ausholen und auf die Terminverschiebungen und seine eigene Verspätung eingehen kann, sage ich zu ihm: "Entschuldigen Sie die Verspätung!" und gebe mir dabei keine Mühe, ein leichtes schelmisches Grinsen zu verbergen. Großes Gelächter bei allen Beteiligten. Auch er muss lachen und seine eigene Entschuldigung, wenn sie denn beabsichtigt war, ist überflüssig geworden. Die Botschaft ist angekommen und alle lachen. Der Frust über die Wartezeit ist verflogen. Die eigentliche Präsentation beginnt. Das Eis ist gebrochen und in der Fahrrinne setzt sich die entspannte Begrüßungsatmosphäre nahtlos bis zum Ende fort.
Wat lernt uns das?
In meinen Soft-Skill-Seminaren behaupte ich häufig "Smalltalk ist BIGTALK". Das trifft besonders auf die ersten Sekunden eines Zusammentreffens zu - und ganz besonders auf das Zusammentreffen mit einem unbekannten Gesprächspartner. Innerhalb von Sekunden - und das ist ganz wörtlich gemeint - entscheiden sich grundlegende Rahmenbedingungen, die das persönliche Verhältnis der Akteure bestimmen, häufig sogar langfristig. Einmal sympathisch, immer sympathisch. Die Wichtigkeit dieser Phase kann m.E. gar nicht überschätzt werden.
Die Themen sind dabei eher sekundär. Wetter, Urlaub, Familie, "Haben Sie uns gut gefunden?" etc. sind altgediente Klassiker, aber eher unergiebig. Ein kleiner Überraschungseffekt, etwas Humor, eine schlagfertige Antwort, eine spontane Äußerung, ein wenig Selbstironie, ein Kompliment, alles was freundlich rüberkommt und zum Lachen animiert, Sympathie und Anerkennung signalisiert, kann kaum falsch sein. Selbst wenn ein Gespräch mit konträren Positionen erwartet wird, kann dies dem Gesprächspartner signalisieren, dass man zwar "auf der anderen Seite sitzt", ihn jedoch trotzdem als Person respektiert. Geht man noch einen Schritt weiter, kann man dies auch als Signal verstehen, dass man das vielleicht erwartete Streitgespräch als zu lösende Aufgabe und nicht als Kampf mit Gewinner und Verlierer versteht. Dies nimmt der Situation die Verbissenheit und erzeugt Entspannung. Eine kleine Stichelei, auch wenn sie noch so freundlich gemeint ist, kann bei einem unbekannten Gesprächspartner dagegen leicht ins Auge gehen. Wer weiß da schon, wo die Fettnäpfchen stehen. Eine scherzhafte Bemerkung über sich selbst ist dagegen eher unkritisch und kann dem Gegenüber zeigen, dass man sich selbst nicht allzu ernst nimmt.
Oft höre ich die Meinung, Spontanität ließe sich nicht trainieren. Das läge eben in der Natur der Sache. Natürlich kann ich mir nicht vornehmen "Ich bin jetzt mal spontan" genau so wenig, wie ich dies einem anderen mit großer Aussicht auf Erfolg raten kann. Meine Seminarteilnehmer gehen jedoch gelegentlich mit einer kleinen Aufgabe in die Mittagspause: "Sprechen Sie eine unbekannte Person an! Machen Sie ihr ein (ehrlich gemeintes) Kompliment, eine kleine Bemerkung, die Sympathie signalisiert, bringen Sie jemanden zum Schmunzeln oder animieren Sie einen wildfremden Menschen durch ihren fröhlichen Blick zum Zurücklächeln! Kein Gespräch, keine Diskussion, eher ein unverbindlicher Blitzkontakt im Vorübergehen."
Ich praktiziere dies häufig selbst, aus Spaß an der Freud, zum Üben, nur so. Daher habe ich immer auch einige Beispiele parat zum Animieren. Eines davon aus dem letzten Sommer: Ich stehe mit meinem alten Hollandrad an der roten Ampel. Neben mir zwei sportliche Typen mit Rennrädern und vermuteten 36 Gängen, gestählten Waden und entsprechendem Outfit. "Na", sage ich zu dem einen. "Wollen wir mal sehen, wer schneller ist?" Wir haben zu dritt herzlich gelacht - und dann waren sie weg. Ich hab’ sie gewinnen lassen.