33 Sex sells!
Eine alte Weisheit. Aber nicht nur Sex, manchmal tut’s auch ein altes Autoradio. Was es damit auf sich hat und was ich daraus gelernt habe zeigt die folgende Story:
Vor einigen Jahren wollte ich mein Auto verkaufen. Wochenlang hatte ich das Fahrzeug inseriert, ohne Erfolg. Natürlich hatte ich brav die üblichen Angaben gemacht: Hersteller, Typ, Baujahr, Kilometerstand, Farbe, TÜV, Zustand, Ausstattung und, und, und. Keine Resonanz, gar keine. Null. Beim mittlerweile frustrierten Blick in die Zeitung hatte ich eine Offenbarung. Hunderte von Autos, alle mit den gleichen, langweiligen Angaben. Welchen Verkäufer würde ich denn anrufen? Schwierig, wahrscheinlich müsste ich würfeln.
Am nächsten Wochenende erschien mein neues Inserat in der Rubrik PKW-Verkäufe - völlig ohne sachlichen Angaben:
Mieses altes Autoradio
für 6.000,- € zu verkaufen.
Mercedes als Zugabe umsonst.
Sie werden’s nicht glauben: Am gleichen Wochenende war die Mühle weg!
Vor kurzem habe ich mich dann an diese Episode erinnert, nachdem ein Makler über einen längeren Zeitraum erfolglos ein Haus für mich verkaufen sollte. Natürlich hatte er alle "relevanten" Daten sorgfältig und sehr "professionell" aufgeführt. Wenig Resonanz, kein Verkauf. Irgendwann schmiss er das Handtuch und ich nahm die Sache selbst in die Hand. Ähnliches Vorgehen wie im Falle meines Autoradios, nur nicht ganz so frech: Bloß nicht zu viel Sachliches! Weder Baujahr noch Ausstattung, keine Grundstücksgröße, kein Energiepass, kein Preis, ja nicht einmal die Anzahl der Räume oder die Wohnfläche waren erwähnt. Stattdessen Stichworte wie Wohnfläche satt, Hauskonzert, Sektempfang, Freiberufler, weißer Marmor, Familie, Blick in den Königsforst, Privatsphäre, Vogelgezwitscher, Rhododendren und verwunschene Gartentörchen - und ein paar Fotos.
Diesmal konnte ich es fast nicht glauben. Das Telefon stand nicht still, eine Besichtigung nach der anderen. Nach zwei Monaten gab es nicht nur nette Kommentare und "Wir melden uns", nicht nur einen festen Interessenten, sondern gleich drei Kaufwillige - und der netteste hat es dann auch bekommen.
Wat lernt uns das?
Eine alte Verkäuferweisheit lautet: Keine Produkte verkaufen sondern Emotionen! (Leider sind die alten, weisen Verkäufer etwas rar geworden).
Natürlich fällt ein Inserat, wie oben beschrieben, aus dem Rahmen. Es ist jedoch nicht nur die Tatsache des Auffallens. Ich bin überzeugt, dass die sachliche Variante, doppelt so groß und in den Nationalfarben gedruckt, nicht die Resonanz hervorgerufen hätte, wie die unscheinbare, aber eindeutig emotionalere Version. Nach dem "Hingucker" kommt die Neugier, zu dem Erkennen der Ironie gesellen sich Schmunzeln und mit der guten Grundstimmung ist der Griff zum Telefon nicht weit. Was bei dem ersten Inserat der Humor, sind beim zweiten die inneren Bilder. Wen kümmern die Quadratmeter, wenn ein "Wohnfläche satt" eine für übliche Ansprüche überdurchschnittliche Größe signalisiert? Wer denkt bei "Hauskonzert und Sektempfang" nicht an hochwertige Ausstattung? Wer projiziert bei den Stichworten "Freiberufler oder Familie" nicht seine eigene Tätigkeit oder seine Lebensverhältnisse auf die noch unbekannte Umgebung? Und wer verschließt sich völlig dem Vogelgezwitscher, den verwunschenen Gartentörchen in den Wald und macht sich stattdessen Gedanken über Banalitäten wie Energiepässe, Grundstücksgrößen oder Heizungstypen?
Man kann darüber spekulieren, wie man will. Der Erfolg hat mir Recht gegeben. Diese beiden Beispiele sind übrigens nicht vom Himmel gefallen. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer langen Erfahrung in meinem Beruf als Projektsteuerer. Immer wieder muss ich feststellen, dass wir Techniker dazu tendieren, uns allzu sehr um die sachlichen Aspekte einer Angelegenheit bemühen und darüber die menschlich-emotionale Seite vergessen. Nun, werden Sie fragen, was ist denn bloß die menschlich-emotionale Seite einer baurechtlichen Angelegenheit oder die erotische Seite der Baukosten? Die Antwort liegt im "Drumherum". Auch in baurechtlichen Angelegenheiten gibt es häufig Auslegungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume. Ob man diese nun zu Ihren Gunsten auslegt oder die harte Linie fährt, ist nicht nur eine Frage der Sachdiskussion, sondern wird wesentlich beeinflusst von dem Verhältnis der Akteure untereinander. Wie sind Sie aufgetreten? Haben Sie den Gesprächspartner emotional auf Ihrer Seite? Ist er vielleicht ängstlich, auf Sicherheit bedacht, lässt er sich einschüchtern, braucht er Selbstbestätigung? Und der Bauherr, der vielleicht mit Mehrkosten konfrontiert ist? Lässt er sich von Ihrer Begeisterung für die aufwendigere Gartengestaltung anstecken? Grummelt er, weil er Ihr Fachchinesisch nicht versteht, sich nicht die Blöße einer Frage erlauben will und die Vorteile nicht verstanden hat oder träumt er von höheren Gewerbemieten aufgrund der tollen Fassadengestaltung?
Die beiden Beispiele oben habe ich deswegen hier aufgenommen, weil sie sehr anschaulich Misserfolg und Erfolg gegenüberstellen. Auch wir Techniker verkaufen ständig, auch wenn uns das vielleicht nicht immer bewusst ist. Wir verkaufen technische Lösungen, Entscheidungen, Kosten, Termine, Organisationsformen, unsere Leistungen, Träume, Risiken usw. Gelegentlich habe ich es erlebt, dass sich die zweitbeste Lösung nur aufgrund emotionaler Faktoren durchgesetzt hat.
Wollen Sie etwas "verkaufen", beschäftigen Sie sich also zuerst mit den Bedürfnissen der Menschen, die eine Entscheidung treffen sollen und erst in zweiter Linie mit dem Objekt der Entscheidung!